Warum Hambach?

Für ein neues Selbstverständnis der Ärzteschaft in Deutschland

Die Ärzteschaft ist in der Öffentlichkeit ein beliebtes Ziel für mediale Diffamierungen und Beschimpfungen.
Eine ganze Berufsgruppe wird überzogen mit Beschuldigungen und Unterstellungen. Was haben wir, die Ärzteschaft, dem entgegenzusetzen?

Getrieben von den Medien, verteidigen uns unsere Funktionäre aus den berufspolitischen Vereinigungen heraus. Diese Öffentlichkeitsarbeit wirkt häufig hilflos. Nicht selten besteht sie lediglich aus einer Rechtfertigung oder einer Richtigstellung. Die Basis der Ärzteschaft ist oft unzufrieden und auch deprimiert über die Öffentlichkeitsarbeit ihrer Funktionäre, hervorgehend aus den Pressestellen der Körperschaften der Kassenärztlichen Vereinigungen und den Ärztekammern, der Bundesärztekammer und den Berufsverbänden.

Aber warum ist die Ärzteschaft ein so beliebtes Ziel für Diffamierungen?

Warum setzen wir Ärzte diesen Kampagnen nichts entgegen? Haben wir keine Inhalte, die wir entgegensetzen können? Haben wir kein Selbstbewusstsein, das wir entgegensetzen können? Wir fühlen uns häufig mit dem Rücken zur Wand stehend, wenn wir die Zeitung aufschlagen und über die neuesten Korruptionsvorwürfe lesen müssen.

Die Ärzteschaft ist für fast jeden Bürger und jede Bürgerin in Deutschland tagtäglich verfügbar. Die Bevölkerung erlebt ihre Ärzteschaft als Ort der Ratgebung, als Ort der Hilfe bei Erkrankungen und Ort der Hilfe bei Entscheidung bezüglich des Erhalts der Gesundheit und als Versorger im Notfall.

Das Kostenträgersystem ist kompliziert. Auch für JounalistInnen ist die Analyse dieses Systems und die Auswirkungen seiner zunehmenden Einflussnahme auf die Privatsphäre der BürgerInnen und ÄrztInnen schwer zu verstehen. Sind die Zusammenhänge zu kompliziert für die Journalisten und ihre Redaktionen? Wessen Interessen vertreten die JournalistInnen und ihre Redaktionen, die die Diffamierungskampagnen gegen die Ärzteschaft zu verantworten haben?

Die Ärzteschaft steht im Spannungsfeld zwischen sozialer Bindung gegenüber dem Patienten und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft.

In diesem Spannungsfeld wird täglich gelebt: in der Klinik und in der Praxis. Es kommt häufig zu Konflikten zwischen den verschiedenen Feldern der Arbeit. Ärztliches Handeln für den Patienten kann der gesellschaftlichen Verpflichtung entgegen stehen.

Als Ärzte können wir diese Spannung vermutlich nur aushalten, wenn wir uns einer starken ärztlichen Ethik bewusst sind und uns an diese gebunden fühlen. Aber es scheint, dass die Ärzteschaft sich zum Teil ihr Berufsethos hat nehmen lassen. Ärztinnen und Ärzte werden Leistungserbringer genannt. „Leistungserbringer“ ist ein Begriff, der alle Gesundheitsberufe nivelliert, der anonymisiert, der den ärztlichen Beruf zu einem Produzenten der Ware Gesundheit macht.

Wir brauchen eine Diskussion über unser ärztliches Selbstverständnis. Der Wert der Freiberuflichkeit in einer Demokratie sowie unser Berufethos muss neu diskutiert werden. Durch eine Diskussion über ein neues ärztliches Selbstverständnis können wir neue Formen finden, uns in der medialen Öffentlichkeit durchzusetzen und politische Entscheidungen zugunsten des Freien Berufes und dem Allgemeinwohls in unserer Demokratie mitzugestalten.

Vor 180 Jahren setzten tausende Menschen aus verschiedenen Ländern ein Zeichen für Demokratie auf Schloss Hambach. Auch damals ging es um Öffentlichkeit. Männer und Frauen protestierten gegen die Einschränkung der Pressefreiheit durch die Karlsbader Beschlüsse. Auch wir Ärztinnen und Ärzte müssen uns mit den verschiedenen Formen der Berichterstattung und der Macht der Pressefreiheit auseinandersetzen.

Es gibt auch in unserem Land eine demokratische Tradition. Wenn wir als Freie Ärzteschaft uns einreihen in die demokratischen Bewegungen können wir Visionen entwickeln, die vielerorts Kräfte freisetzen können.

Warum nehmen wir Ärztinnen und Ärzte in Deutschland nicht Bezug auf unsere demokratischen Wurzeln und definieren in diesem Bewusstsein die ärztliche Ethik als Basis für die Würde des Arztberufs neu? Wo könnte diese Diskussion besser sichtbar gemacht werden als auf Schloss Hambach 180 Jahre nach dem Hambacher Fest?

Dr. med. Catherina Stauch, Düsseldorf im Februar 2013

Mitglied des Vorstandes des Landesverbandes Nordrhein der Freien Ärzteschaft und Mitglied des Kuratoriums für Hambach